Hinsichtlich dieses neuen „Motu Proprios“ gelten von unserer Seite aus immer noch die Überlegungen und Schlußfolgerungen, die wir aus Anlaß des früheren, nunmehr teilweise widerrufenen „Motu Proprios“ geäußert haben: https://www.sodalitium.biz/comunicato-riflessioni-sul-motu-summorum-pontificum-2/
Die beiden Dokumente stehen in offensichtlichem Gegensatz zueinander, nicht nur in ihren pastoralen Präferenzen, das eine hebt die Zugeständnisse des andern auf, sondern auch betreff einer grundsätzlichen Frage: Ob nämlich der römische Ritus zwei liturgische Formen hat: die ordentliche und die außerordentliche Form, wenn wir die Ausdrücke des Dokuments von 2007 gebrauchen; oder ob er nur in einer einzigen Ausdrucksweise, nämlich dem erneuerten Ritus, besteht, wie dies das jetzige Dokument behauptet gemäß den Erklärungen Pauls VI. im Konsistorium vom 24. Mai 1976.
Sie haben aber einen grundsätzlichen Punkt gemeinsam: Sowohl das M.P. Summorum Pontificum als auch das M.P. Traditionis Custodes verlangen von demjenigen, der das römische Meßbuch von 1962 (von Johannes XXIII.) benützen will, dass er die Rechtmäßigkeit, die Gültigkeit und die Heiligkeit der liturgischen Reform, die das 2. Vatikanische Konzil umgesetzt hat, anerkennt. In diesem Punkt unterscheiden sich die beiden Dokumente nur darin: Das M.P. von 2007 setzt die Anerkennung des Konzils und der liturgischen Reform auf Seiten dessen, der von seinen Zugeständnissen Gebrauch macht, voraus, wohingegen das M.P. von 2021 dieselben Zugeständnisse widerruft, weil es vorgibt, eine verschwommene Nicht-Annahme des Obigen festzustellen.
Also gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder erkennen jene, die das römische Meßbuch von 1962 verwenden wollen, die Autorität des Besetzers des Apostolischen Stuhles seit 1965 und danach an und damit notwendiger Weise auch die Rechtmäßigkeit, die Gültigkeit und die Heiligkeit des erneuerten Meßbuchs sowie den lehramtlichen Wert der Dokumente des 2. Vatikanums oder nicht.
Im ersteren Fall ist nicht einzusehen, warum sie Schwierigkeiten damit haben, den reformierten Ritus zu zelebrieren oder diesem Ritus beizuwohnen, im Geiste des Gehorsams gegenüber dem, den sie als Stellvertreter Christi und Nachfolger Petri betrachten, der unter anderem den Wunsch geäußert hat, dass schließlich alle das Meßbuch Pauls VI. annehmen sollten: ein Ritus der Kirche, von der kirchlichen Autorität erlassen, muss im Übrigen auch rechtmäßig, gültig und heilig sein. Im letzteren Fall hätte das M.P. Traditionis Custodes darin recht (die Unvereinbarkeit der beiden Riten), und die Priester und Gläubigen der katholischen Tradition müßten konsequent jedes Zugeständnis ablehnen, das sich auf die Annahme des 2. Vatikanums und der neuen Riten stützt. Sie dürften keines der beiden Motu Proprios verwenden, weder das von 2007 noch das aktuelle.
Nun ist aber der neue Meßritus wie auch die Riten der Sakramente ausdrücklich im Geiste der ökumenistischen Bewegung abgefaßt worden, der vom 2. Vatikanum befürwortet wird. Er hat nicht die Absicht, die Glaubenswahrheiten zu verteidigen, besonders das Meßopfer, das Priestertum, die Wesensverwandlung, sondern vielmehr jenen entgegenzukommen, die diese Glaubenswahrheiten ablehnen im Gefolge Martin Luthers, des Häresiarchen, der von den letzten Besetzern des Apostolischen Stuhles, besonders vom Autor von Traditionis Custodes, gelobt worden ist. Er kann also kein Ritus der Kirche sein und auch nicht von einer rechtmäßigen Autorität der Kirche kommen.
Fassen wir zusammen: Der Schlüssel zu dem Ganzen besteht in der Anerkennung der Rechtmäßigkeit Pauls VI., der die „apostolische Konstitution“ Missale Romanum vorgeschrieben hat. Hat man diese einmal anerkannt, wie dies die Priesterbruderschaft St. Pius X. tut, welche widersprüchlicher Weise vom Autor von Traditionis Custodes nie dagewesene Zugeständnisse erhalten hat, kommt man nicht umhin, die Rechtmäßigkeit, Gültigkeit und Heiligkeit der gesamten liturgischen Reform anzuerkennen. Dann muß man sich auch, kirchenrechtliche Spitzfindigkeiten hin oder her, an die Anordnungen des M.P. Traditionis Custodes halten.
Auf der Grundlage dieser Überlegungen schließen wir:
- Das M.P. Traditionis Custodes, genauso wie das M.P. Summorum Pontificum und die „apostolische Konstitution“ Missale Romanum, ist kein Dokument der Kirche. Man schuldet ihm folglich weder Gehorsam noch Ungehorsam. Man darf nicht um sie herum arbeiten, sondern muß sie außer Acht lassen.
- Das M.P. Traditionis Custodes ist, wenngleich es nicht Ausdruck des Rechts oder der Lehre der Kirche ist, doch ein bedeutendes Zeugnis der tiefen Abneigung der Neomodernisten und der mit den Lutheranern liebäugelnden Ökumenisten gegen die Liturgie der Römischen Kirche aus unvordenklicher Zeit. Es zeigt dadurch die Unvereinbarkeit der beiden Riten. Die Neuerer wollen den katholischen Ritus zum Verschwinden bringen. Die Katholiken aber müssen von Gott und von einem rechtmäßigen Papst erlangen, dass dieser reformierte Ritus aus unseren Kirchen und von unseren Altären verjagt wird.
- „Niemand kann zwei Herren dienen.“ Das M.P. Traditionis Custodes bestätigt, dass es unmöglich ist, in Einheit zu sein und zu zelebrieren mit dem, dessen ausdrückliches Ziel es ist, die Messe und die Sakramente der Kirche zu unterdrücken.
- „Niemand kann zwei Herren dienen.“ Das M.P. Traditionis Custodes kann unbeabsichtigter Weise dazu führen, dass den Zweiflern die Augen geöffnet werden und dass die „traditionellen“ Meßfeiern aufhören, die oft zweifelhaft und immer objektiv irreführend sind, weil nämlich die Annahme des 2. Vatikanums und der Liturgiereform vorausgesetzt werden.
- Die Priester des Instituts Mater Boni Consilii werden also auch fürderhin ruhig das Hl. Meßopfer darbringen und die heiligen Sakramente spenden, ohne eins zu sein mit den materiellen, nicht aber formellen Besetzern des Apostolischen Stuhles zu sein. Sie halten sich an die ehrwürdigen liturgischen Bücher der römisch-katholischen Kirche, wie sie vom hl. Papst Pius V. und seinen Nachfolgern vorgeschrieben worden sind, gemäß den Rubriken des hl. Pius X.
Verrua Savoia, am 21. Juli 2021